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„Man muss schon ein bisschen ein Spinner sein“

Wie bekommt man Dokumente und andere dringende Kleintransporte schnell und ökologisch von A nach B? Für viele Firmen ist seit Jahren hier der örtliche Fahrradkurier ein verlässlicher Partner. Der CO2-Ausstoß liegt bei null Tonnen pro zurückgelegtem Kilometer und in Punkto Schnelligkeit sind die sportlichen Radler dem Auto oft überlegen. Die SolarRegion befragte zwei Kuriere zu ihrem Alltag als Berufsradler im Straßenverkehr. / Von Karin Jehle, fesa e.V.

Was haben Rechtsanwaltsdokumente und Hotelzimmerschlüssel gemeinsam? Was verbindet Blumensträuße und eilige Blutkonserven? Wie ähneln sich die liegengelassene Brille des Managers und der Gebissabdruck des Zahntechnikers? Sie alle passen in den Rucksack eines Fahrradkuriers und sind innerhalb von 90 Minuten an jeden Ort im Freiburger Stadtgebiet transportiert. In supereiligen Fällen geht es per Express sogar noch schneller. Martin Allmendinger und Hansjörg Schiffelholz strampeln beide seit etlichen Jahren durch Freiburgs Straßen und haben im August 2008 ihren ehemaligen Arbeitgeber „per Velo“ übernommen. Jetzt liefern die beiden und ihr Team unter dem Namen „RADsFATZ“ klimaneutral und schnell alles, was ihre Kunden wünschen – in Notfällen haben sie schon mal 40 Kilo in den Rucksack gepackt, ansonsten ist auch ein Fahrradanhänger vorhanden.

Nur beamen ist schneller

„Nur ein guter Radfahrer zu sein, reicht nicht für den Job.“ [Foto: Karin Jehle]

Größter Bonus für die Kunden ist die Schnelligkeit. Bis ins Industriegebiet Haid oder bis nach Gundelfingen lassen die gelben Flitzer die im Stadtverkehr kriechenden Autos locker hinter sich liegen. Günstiger als ein Transport per Taxi ist der Fahrradkurier auch. Leider spielt der Faktor Ökologie für die wenigsten Kunden eine Rolle. „Das ökologische Bewusstsein aber auch das soziale Bewusstsein sind leider wenig ausgeprägt“, bedauert Hansjörg Schiffelholz. „Viele denken, wenn die Ware mit dem Auto transportiert wird, bekomme ich mehr für mein Geld“, muss auch Martin Allmendinger feststellen. Dabei ist der ökologische Beitrag, den sie leisten, erheblich: Jährlich legen deutsche Fahrradkuriere für 3,5 Millionen Sendungen etwa 17 Millionen Kilometer zurück. Würden diese Transporte mit motorisierten Fahrzeugen durchgeführt, wäre eine Erhöhung des Treibstoffverbrauchs um 1,5 Millionen Liter die Folge - die wir in Form von Ruß, Ozon, Lärm und Platznot vor allem in den Städten zu spüren bekämen.

Doch was motiviert die jungen Männer dazu, sich bei Wind und Wetter jeden Tag für bis zu zehn Stunden aufs Rad zu setzen? „Man muss schon ein Freak sein“, meint Schiffelholz. „Alle Fahrradkuriere, die ich kenne sind Fahrradfreaks. Man genießt die Unabhängigkeit und man hat auch seinen Stolz.“ Auch für Allmendinger ist es neben dem ökologischen Bewusstsein die Liebe zum Sport: „Das Radfahren an sich macht mir Spaß, weil ich mich gern bewege. Ich fahre lieber bei minus zehn Grad oder bei Regen durch die Stadt, als dass ich mich in irgendein Büro setze.“

Weniger Regeln – mehr Vernunft

Das Hochgeschwindigkeitsfahren im Straßenverkehr ist nicht ungefährlich. Andere Radfahrer, Fußgänger, Hunde, Kinder und als Hauptgefahrenquelle natürlich der Autoverkehr hemmen die freie Fahrt. Doch die Fahrradkuriere sind keine rücksichtslosen Raser, wie es ihnen so oft nachgesagt wird. Mit höchster Konzentration scannen sie den Verkehr. „Man selektiert total. Man sieht eigentlich ständig nur Gefahr oder nicht Gefahr“, sagt Schiffelholz. „Ich habe in zehn Jahren Fahrradkurierfahren noch nie erlebt oder gehört, dass ein Fahrradkurier einen schweren Unfall verursacht hat.“ Ein großes Problem sind die Radwege. Von ihrer Geschwindigkeit her, können die Schnellradler locker mit dem innerstädtischen Autoverkehr mithalten. Nach der Straßenverkehrsordnung müssten sie aber eigentlich auf den oft viel zu schmalen Radwegen fahren, wo sich die langsamen Normalradler tummeln. „In Frankreich wird der Radfahrer und vor allem der Radsportler als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer wahrgenommen. Da ist es ganz normal, auf der Straße zu fahren.“

In Deutschland dagegen haben die Kuriere oft mit aggressiven Autofahrern zu kämpfen. Sie wünschen sich mehr Fahrradstraßen und verkehrsberuhigte Zonen – am besten für die gesamte Innenstadt. „Der Verkehr ist überreguliert, viel zu viel Stop and Go. Das ist auch ein Grund für Unfälle“, fügt Allemendinger hinzu. Gleichberechtigung für alle Verkehrsteilnehmer, gegenseitige Rücksichtnahme und Schluss mit
dem Schilderwald – das Konzept von „Shared Space“, wie es schon in einigen Modellstädten verwirklicht ist, könnte den Straßenverkehr
sicherer, flüssiger und aufgrund der niedrigeren Geschwindigkeiten auch klimafreundlicher machen. „Weniger Regeln, mehr Vernunft und mehr aufeinander achten“, wünscht sich Schiffelholz – ein Motto, das nicht nur den Straßenverkehr menschlicher machen könnte.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 3/2009 von SolarRegion - Zeitschrift für Erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit, S. 13
solarregion.net
fesa.de

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